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Maientag und Gewalt

Vaihingen (ub). Diethelm Beier vom Polizeirevier in Vaihingen spricht von „problematischen Vorkommnissen“. Sandra Schassberger und Tobias Mäule vom Deutschen Roten Kreuz in Vaihingen beobachten „vor allem am Samstag ein deutlich gesteigertes Aggressionsverhalten“. Thomas Galos aus Horrheim schreibt in einem Brief an die VKZ von „Gefühlskälte und Gleichgültigkeit“. Seine beiden Söhne wurden auf dem Vaihinger Maientag brutal zusammengeschlagen.

[Artikel der VKZ vom Donnerstag, 23.Mai 2013]

Nicolas (16) hebt mühsam den rechten Arm hoch. Bis zum Ellbogen reicht der Gips – doppelter Bruch, schlimmstenfalls droht noch eine Operation. Auf der Stirn ist deutlich der Schuhabdruck zu erkennen. „Meine ganze linke Gesichtshälfte tut weh“, sagt Nicolas, vier Tage nachdem er am Samstagabend im Weinzelt derart malträtiert wurde. Sein Bruder Marcel (19) wurde am Samstag auf der VKZ-Jugendseite „Yenz“ noch mit seiner Gruppe Your Mind Is My Puppet vorgestellt. Im LKA in Stuttgart wäre am Pfingstmontag ein Konzert gewesen, eine Chance für die jungen Musiker. Ein Kartenkontingent hat Marcel gekauft, hat die Tickets an Freunde und Bekannte weitergegeben. Doch mit dem Gig wurde es nichts: Mit schwersten Prellungen am Jochbein sitzt Marcel am Tisch. Sein Körper ist wie der von Nicolas mit Hämatomen übersät. „Ich habe tierische Kopfschmerzen, selbst das Kauen tut weh“, sagt Marcel.

„Die Schlägerei hatte schon eine besondere Qualität“ Diethelm Beier, Polizeirevier Vaihingen

Diese Verletzungen – die Ermittlungsbehörden verfolgen den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung – sind die Folgen einer brutalen Schlägerei am Samstagabend im Weinzelt Nonnenmacher (die VKZ berichtete). Während die Gruppe Besser auf der Bühne Stimmung machte und Hunderte von Besucher in und vor das Zelt lockte, war eine Gruppe Jugendlicher und Heranwachsender an diesem Abend auf Zoff aus.
Diethelm Beier von der Führungsgruppe des Polizeireviers zählt in der Zwischenzeit vier Beschuldigte auf. „Die Täter sind namentlich bekannt, es sind aber keine polizeibekannten Randalierer“, so der Erste Polizeihauptkommissar. Die Schlägerei habe aber schon eine „besondere Qualität“, weil bereits am Boden Liegende noch mit Schuhen getreten wurden.

Zusammen mit zehn Freunden hat Nicolas am Samstag um 20.30 Uhr das Weinzelt im Egelsee betreten. „Wir waren ganz hinten rechts“, erzählt der junge Mann. Die späteren Schläger, die man vom Sehen her kenne, hätten bereits den ganzen Abend provoziert. Um 23.30 Uhr eskalierte die Situation: Der dunkelhäutige Freund von Nicolas wurde von der Gruppe angepöbelt. „Sie sind zu fünft auf ihn losgegangen. Ich habe versucht ihn rauszuholen – dann ist die Meute auf mich los“, berichtet der junge Mann. Mit den Händen hat er sein Gesicht geschützt, trotzdem gab es Fußtritte gegen den Kopf und den Oberkörper. Marcel hielt sich mit seiner Freundin und seiner Band vor der Bühne auf, als er von dem Vorfall erfuhr. Er rannte zu seinem Bruder und bekam dann plötzlich einen Schwinger ins Auge. „Ich bin wie ein Baum umgefallen und war bewusstlos“, so Marcel. Auch hier traten die Schläger auf dem Boden Liegenden noch einmal ein.

Thomas Galos aus Horrheim, Vater von Nicolas und Marcel, will diesen Gewaltexzess nicht einfach schlucken. Der Unternehmer schreibt einen Brief an die Vaihinger Kreiszeitung, will aufrütteln, will auch die bösen Seiten des Traditionsfestes zeigen. „Was ist das für eine Welt, in der wir leben? Was geht in diesen ‚Menschen’ vor, die sich mit ihrem Verhalten eigentlich unterhalb der Evolution von Tieren bewegen? Die einen möchten Party und Spaß, die anderen sehen Gewalt als Freizeitspaß und bedienen sich öffentlicher Veranstaltungen als Plattformen, um ihre kranken Persönlichkeiten frei zu entfalten. Alkohol trägt den Rest dazu bei.

Was sind die Gründe, dass Jugendliche mit einer derartigen Gefühlskälte und Gleichgültigkeit, ohne Reue und Schuldrechtsbewusstsein derart explodieren? Die allgemeinen Regeln zivilisierten Zusammenlebens werden mit Füßen getreten, versteckt hinter irgendwelchen Ehrencodices und Coolness. Bewegen wir uns in einem Rechtsrahmen, der es jugendlichen Gewalttätern zu leicht macht, dass diese weitgehend unbehelligt agieren können?“

Für Kopfschütteln sorgt bei Thomas Galos, dass die Täter vom Vorabend bereits am nächsten Tag wieder auf dem Maientag herumgezogen sind und andere Jugendliche schikanierten. Thomas Galos fragt auch, wieso von den Umstehenden am Samstagabend nicht geholfen wurde? Wieso werde nur mit Gleichgültigkeit und Desinteresse auf das Schicksal des Nächsten reagiert? Galos: „So wurden zum Beispiel Helfer von mehreren Umherstehenden zurückgehalten, damit die Situation nicht noch weiter eskaliert. Muss es erst wieder zu Toten und Schwerstverletzten kommen, damit wir aus unserer Komfortzone kommen? Zwei Tage Betroffenheit, Blumenkränze und Lichterketten, danach wieder zurück zum Tagesgeschäft. Als gefrusteter Vater der beiden betroffenen Söhne hoffe ich, dass die Verantwortlichen vielleicht zum ersten Mal in ihrem bisherigen Leben lernen, die Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen und dass es mehr Menschen gibt, die Zivilcourage zeigen und nicht nur daneben stehen oder davon reden.“

Auch die Polizei – sie ist beim Vaihinger Maientag immer mit einer Extraschicht präsent – registriert in ihrer Bilanz allgemein eine „unruhige Stimmung“ am Samstagabend auf dem Festplatz. „Bei solchen Festen kommt es immer wieder zu Rangeleien, aber dieser Vorfall hat schon eine andere Qualität“, sagt Beier. Man müsse sich jetzt zusammensetzen, um solche Vorfälle im nächsten Jahr zu vermeiden. Das Problem: Viele junge Besucher kommen schon alkoholisiert auf das Festgelände im Egelsee. Dabei wird von den beiden Opfern beispielsweise der Ruf nach mehr Security-Personal im Weinzelt laut. „Beim Bockbierfest in Vaihingen läuft das besser.“

Weinzelt-Betreiber Armin Nonnenmacher sieht den Samstagabend auf Anfrage dagegen als „unproblematisch“ an. Vier Security-Leute hätte er engagiert, die am Eingang auch die Taschen kontrollierten. „Doch dann wird der Wodka oder der Whisky halt über den Zaun gereicht“, weiß Nonnenmacher. Auffällig sei gewesen, dass bereits um 19 Uhr viele volltrunkene Leute unterwegs gewesen seien. „Wir haben jetzt aber kein schlechtes Gefühl.“ Es gebe aber Überlegungen, im nächsten Jahr den Einlass besser zu organisieren und Randalierer im Vorfeld auszusortieren.

Das Polizeirevier Vaihingen registriert nach Abschluss des Vaihinger Maientags sechs Körperverletzungsdelikte sowie eine fahrlässige Körperverletzung. Dabei stürzte eine 18-Jährige in der Grabenstraße aus einem Linienbus, als ein Unbekannter den Notschalter betätigte (wir berichteten).
Fünf hilflose Personen wurden volltrunken von den Beamten aufgelesen, darunter ein Jugendlicher. Allein am Sonntag listet die Bilanz fünf Taschendiebstähle im Weinzelt auf. Dazu kommen noch zwei Sachbeschädigungen am Ortsschild in Enzweihingen und an Lampen am TSV-Gelände in Enzweihingen. Ein Fahrer wurde mit Alkohol am Steuer erwischt.

Das DRK Vaihingen, das während des Maientags die Rettungswache in das Verkehrswachthaus verlegt hatte, musste 51 Hilfeleistungen abarbeiten. „Dabei hatten wir eine deutliche Zunahme alkoholbedingter Versorgungen, leider vor allem bei minderjährigen Patienten“, so Sandra Schassberger und Tobias Mäule.

23. Mai 2013 00:00 Uhr. Alter: 11 Jahre